Was war da eigentlich vorher?
Die städtebauliche Herausforderung war groß, die Gelegenheit einmalig: Durch die Rekonstruktion der klassizistischen Fassade der Kommandantur hat ein markantes Gebäude in der historischen Stadtmitte Berlins seinen Stammplatz zurückerobert. Im Zusammenspiel mit Kronprinzen- und Prinzessinnenpalais ist am östlichen Beginn der Prachtstraße Unter den Linden wieder ein stimmiges Ensemble entstanden.
Die Fassade der Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 entspricht dem Aussehen des Gebäudes aus dem 19. Jahrhundert. Die Geschichte des Hauses reicht jedoch bis in die 1650er Jahre zurück. Damals entstand das erste Gebäude an dieser Stelle. Es handelte sich um das Wohnhaus des zu jener Zeit sehr bekannten Architekten Johann Georg Memhardt, der vom Kurfürsten Friedrich Wilhelm für seine „treu fleißigen Dienste, womit Er Uns ins vier Zehende Jahr aufwertig gewesen“, und wohl auch in Erwartung weiterer Dienste, ein Grundstück an der damaligen Hundebrücke erhielt.
18. Jahrhundert - das Haus Unter den Linden 1 erhält allmählich Züge seiner heutigen Anmutung
Johann Memhardt starb 1678, sein Haus wurde im Folgejahr verkauft und wechselte mehrmals im Laufe des folgenden Jahrhunderts den Besitzer. Ein wenig heruntergekommen, erfuhr es in den 1790er-Jahren eine grundlegende Erneuerung, und allmählich zeigten sich erste Anmutungen des Hauses, so wie wir es heute kennen: Der Eingangsbereich mit seinen Säulen, die helle Backsteinfassade im Erdgeschoss, die Rundbogenfenster unten, die eckigen oben. Allerdings verfügte das Gebäude damals noch über ein Walmdach anstelle des heutigen zweiten Stocks.
Jedenfalls wurde es für hochwertig genug befunden, und wahrscheinlich 1799 ging es an die Preußischen Zentralbehörden, um fortan dem Kommandanten von Berlin als „Geschäftslocal“ zu dienen. Es mag Zufall sein, doch die Fassadengestaltung passte zur Funktion des Hauses: Das Erdgeschoss diente der Arbeit und Repräsentation, entsprechend geschmückt war es außen, während der außen nüchterne erste Stock die Wohnräume des Kommandanten bereithielt. Eine schöne Dienstwohnung – für die der Kommandant übrigens 300 Thaler pro Jahr Miete zahlte. Zum Vergleich: Ein Drucker oder Setzer verdiente damals in Berlin zwischen 150 und 200 Thalern jährlich, die Lebenshaltungskosten für eine fünfköpfige Handwerkerfamilie bewegten sich um 250 Thalern pro Jahr.
Die heutige Fassade entsteht
1873/4 wurde die Kommandantur umgebaut: Das Walmdach wich einem weiteren Stock, und die sogenannte Rustikaquaderung – eine backsteinförmige Verkleidung – wurde auf alle Etagen ausgedehnt. Ein Schmuckstück war entstanden, in einer Zeit in der Berlin sich anschickte, weltpolitische Bedeutung zu erlangen. Mancher Beobachter wird diesen Aufstieg in Gestalt der Militärparaden vom Balkon im ersten Stock aus verfolgt haben, ebenso wie wenige Jahrzehnte später die Ereignisse der Revolution 1918, als der Berliner SPD-Mann Otto Wels die Leitung der Kommandantur innehatte und zwischen die Fronten der Spartakisten und des Rates der Volksbeauftragten geriet.
Wäre dieser Beobachter in der Zeit weitergereist, hätte er allerdings auch das Scheitern des Hitler-Attentats vom 20. Juli 1944 miterlebt. Der damalige Stadtkommandant Paul von Hase war bereits in die Septemberverschwörung, also den schon 1938 geplanten Sturz Hitlers, eingeweiht gewesen. Mit diesem sollte der drohende Krieg verhindert werden. Mit der Lösung der Krise auf der Münchner Konferenz entfielen die Voraussetzungen für den Putsch.
Nach der Teilnahme am Polen- und am Frankreichfeldzug erkrankte Hase im Herbst 1940. Sein letztes Truppenkommando gab er am 25. November 1940 ab und wurde an diesem Tag Stadtkommandant von Berlin mit Dienstsitz im Kommandantenhaus Unter den Linden. In den Planungen der Operation "Walküre" nahm er eine wichtige Rolle ein und befahl am 20. Juli 1944 die Abriegelung des Regierungsviertels. Das Attentat scheiterte bekanntermaßen, Paul von Hase wurde noch am selben Abend verhaftet. Er wurde bei einem Schauprozess am 8. August 1944 zum Tode verurteilt und direkt erhängt.
Bombenschäden und der Häuserkampf in Berlin sorgten für eine weitgehende Zerstörung des Gebäudes bis zum Ende des Krieges, 1950 wurde es abgerissen. Die DDR-Führung ließ in unmittelbarer Nachbarschaft ihr Außenministerium errichten, während der eigentliche Bauplatz leer blieb. Nach dem Abriss des ehemaligen Außenministeriums der DDR 1995 – jegliche Verwendung des Gebäudes wurde ausgeschlossen – setzten Diskussionen um die neue Verwendung des Areals ein. Hier kam nun Bertelsmann in Spiel, denn der Konzern hatte bereits seit den frühen 90er-Jahren überlegt, in Berlin einen Raum für politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Austausch zu schaffen.
Ein Architekturwettbewerb als letzte Hürde
Die Gelegenheit dafür ergab sich im Sommer 1999, als der Berliner Senat einen Architekten-Wettbewerb zur Wiedererrichtung des Kommandanturgebäudes ausschrieb. Bertelsmann bewarb sich mit einem Entwurf des Kölner Architekturbüros Thomas van den Valentyn und konnte sich mit seinem Konzept klar durchsetzen. Nach Ansicht der Fachjury verknüpfte der Bertelsmann-Entwurf in idealer Weise historischen Baustil mit moderner Architektur.
Bevor im November 2001 der erste Spatenstich für Bertelsmann Unter den Linden 1 erfolgen konnte, wurden archäologische Grabungen nach historischen Fundamenten der alten Kommandantur in Auftrag gegeben. Für die Rekonstruktion der klassizistischen Fassade zeichnete das Berliner Architekturbüro Stuhlemmer & Stuhlemmer verantwortlich.
Die Arbeiten ähnelten einem kriminalistischen Puzzlespiel. Mit Hilfe eines historischen Fotos, eines 40 mal 40 Zentimeter großen Glasplattennegativs von 1910 aus dem Preußischen Messbildarchiv, entstand eine Vorstellung des Gebäudes in der Zeit von 1873/74. Die Außenlinien ließen sich anhand eines historischen Katasterplanes von 1880 bestimmen. Die chemische Analyse der Oberflächenbeschichtung von archäologischen Fragmenten, die bei den Grabungen 2001 entdeckt worden waren, lieferte den Beweis, dass es sich um schlesischen Sandstein handelte. Um dem Original so nah wie möglich zu kommen, wurde bei der Rekonstruktion ebenfalls schlesischer Sandstein verbaut – aus demselben Steinbruch, aus dem bereits das Originalmaterial stammte.
Den größten Teil der aufwändigen Rekonstruktionsarbeiten, die sich über elf Monate erstreckten, leistete die Denkmalpflege Berlin. Für die Bearbeitung des Ziegelmauerwerks, bei der sieben verschiedene Ziegelgrößen verbaut wurden, konnten nur mit Mühe Handwerker gefunden werden, die diese Kunst heute noch beherrschen. Für die gesamte Fassadenrekonstruktion, die im Oktober 2002 begann, wurden 138.000 Mauersteine und 312 Tonnen Sandstein verarbeitet. Augenfälligstes Merkmal der Gebäudefront ist das 3,50 Meter breite Relief „Achill unter den Töchtern des Lykomedes“, eine Szene aus der griechischen Mythologie. Die acht Terrakotta-Adler auf dem Dach sind Arbeiten des Bildhauers Karl Möpert, der schon zu DDR-Zeiten an Restaurationsarbeiten im Zeughaus und im nahen Kronprinzenpalais beteiligt gewesen war. Jede der acht markanten Figuren, die im Juni 2003 auf die Dachkante gesetzt wurden, hat eine Spannweite von 1,50 Metern und ist 500 Kilo schwer.
Außen wiederbelebte Geschichte, innen vitale Gegenwart
Im Inneren wird die Hauptstadt-Repräsentanz des internationalen Medienkonzerns Bertelsmann modernsten Ansprüchen an eine offene Architektur gerecht; hier stehen Kommunikation und Dialog im Mittelpunkt.
Am 6. November 2003 konnte die neue Bertelsmann-Repräsentanz Unter den Linden 1 offiziell eröffnet werden.