„Wir verkaufen heute mehr Bücher als vor zehn Jahren“
Im Interview auf der Frankfurter Buchmesse spricht Nihar Malaviya, CEO von Penguin Random House, über sein erstes Jahr als CEO, die Lage von Penguin Random House und der Buchbranche insgesamt sowie die Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz.
„Es gibt viele Wege, um verlegerisch erfolgreich zu sein“, sagt Nihar Malaviya, der CEO von Penguin Random House, der optimistisch in die weitere Zukunft der Verlagsbranche blickt und die Bertelsmann-Buchsparte auch dank der „Boost“-Strategie von Bertelsmann auf Wachstumskurs sieht. Seit Mitte September steht Malaviya offiziell als CEO an der Spitze von Penguin Random House, zuvor war er bereits seit Jahresbeginn Interims-CEO der größten Buch-Publikumsverlagsgruppe der Welt. Zu Bertelsmann kam der in Indien geborene und seit den 1980er-Jahren in den USA lebende Manager 2001 als Teilnehmer des Bertelsmann Entrepreneurs Program. 2003 wechselte er zu Random House, heute Penguin Random House, wo er seitdem verschiedene Führungsaufgaben übernommen und durch den Aufbau branchenweit führender Kapazitäten in Bereichen wie Supply Chain, Consumer Insights, Data Science und Technologie großes Ansehen erworben hat. Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse sprach Nihar Malaviya über sein erstes Jahr als CEO, die Lage von Penguin Random House und der Buchbranche insgesamt sowie die Chancen und Risiken künstlicher Intelligenz
Herr Malaviya, dies ist Ihre erste Frankfurter Buchmesse als CEO von PRH. Wie fühlt sich das an?
Das fühlt sich wirklich gut an! Buchmessen sind ganz besondere Orte für uns, denn Verlagsarbeit ist ein Geschäft, das auf persönlichen Beziehungen beruht. Und Frankfurt ist die größte internationale Buchmesse, deshalb ist dies für all unsere Verlage ein sehr wichtiges Event. Man trifft hier so viele verschiedene Menschen aus der Branche – Autorinnen und Autoren, Literaturagenten, Buchhändler – an einem Ort und natürlich auch die Kolleginnen und Kollegen der internationalen Geschäfte von Penguin Random House. Dafür müsste ich sonst rund um den Globus fliegen und 20 verschiedene Länder besuchen! Frankfurt ist einfach ein wunderbarer Treffpunkt. Darüber hinaus ist die Buchmesse traditionell für uns ein wichtiger Marktplatz für den Handel mit Lizenzrechten. Penguin Random House hält bei vielen der Bücher, die wir veröffentlichen, die Weltrechte. Hier in Frankfurt verkaufen wir solche Rechte an Verlage auf der ganzen Welt.
Und mit welchen Erwartungen sind Sie nach Frankfurt gekommen?
Ich bin mit der festen Absicht gekommen, so viele Menschen wie möglich zu treffen, vor allem aus unseren eigenen Verlagen. Deshalb haben wir auch alle Kolleginnen und Kollegen von Penguin Random House, die nach Frankfurt gereist sind, am ersten Messeabend am Stand der deutschen Penguin Random House Verlagsgruppe zu einem Empfang eingeladen, um uns zu treffen und zu vernetzen. Aber natürlich geht es auch darum, unsere Bücher zu verkaufen. So spreche ich hier auf der Messe mit vielen unserer Handelspartner und mit Literaturagenten, um herauszufinden, wie wir unsere Zusammenarbeit noch weiter stärken können.
Was waren Ihre ersten Weichenstellungen als CEO?
Bevor ich erste Entscheidungen getroffen habe, habe ich mir zu Beginn des Jahres mehrere Monate Zeit genommen und bin auf „Listening“-Tour gegangen. Ich habe zugehört und die Meinungen vieler Menschen eingesammelt. Dabei habe ich zunächst natürlich mit Kolleginnen und Kollegen bei Penguin Random House gesprochen, nicht nur mit den Top-Führungskräften, sondern mit Menschen aus der gesamten Organisation. Und ich habe Fachleuten von außerhalb des Verlags zugehört, unseren Handelspartnern und den Literaturagenten, um ihre Meinung über unser Geschäft und darüber, wie wir noch besser zusammenarbeiten können, zu hören. Mein erster Fokus im Anschluss an die Listening-Tour lag auf unserem US-Geschäft, das ja für 60 Prozent des Gesamtumsatzes von Penguin Random House steht. Als erste Maßnahme haben wir die Geschäftsleitung und Struktur unserer Verlagsgruppen neu aufgestellt, um unsere Verleger zu stärken und um größere Freiräume und Autonomie zu ermöglichen, insbesondere auf der kreativen Seite des Geschäfts. Penguin Random House besteht aus mehr als 320 Imprints weltweit, und uns ist es wichtig, dass jeder einzelne Verlag seine Bücher genauso verlegen kann, wie er das möchte. Denn von einem bin aufgrund meiner langen Zeit bei Penguin Random House und meiner vielen Gespräche innerhalb und außerhalb des Unternehmens überzeugt: Es gibt viele Wege, um verlegerisch erfolgreich zu sein. Und genau diese Vielfalt der Wege und Perspektiven möchte ich innerhalb des Unternehmens ermutigen und unterstützen. Aus diesem Grund sind Teile von Penguin Random House heute deutlich dezentraler organisiert als noch vor einem Jahr.
Und wie steht PRH heute, fast zehn Monate nach Ihrem Amtsantritt, da?
Penguin Random House geht es ziemlich gut. Während der Covid-Pandemie hat es bei uns und in der gesamten Branche einen deutlichen Zuwachs bei den Verkaufszahlen und der Zahl der Leserinnen und Leser gegeben. Seit dem Ende der Pandemie erleben wir einen leichten Rückgang des Marktes, im Grunde eine Normalisierung. Aber dieser neue Level ist immer noch deutlich höher als vor der Pandemie. Wir haben es geschafft, Leserinnen und Leser sowie die Verkaufszahlen auf hohem Niveau zu halten. Und wir sind sehr zuversichtlich, was die weitere Entwicklung des Marktes und unser Wachstum angeht. Die Kehrseite der Medaille sind die stark gestiegenen Kosten in fast allen Bereichen unseres Geschäfts, sei es durch die starke Inflation oder die immer höheren Preise für Papier und Transport. Deshalb haben wir alle Kosten auf den Prüfstand gestellt, und da wir ein dezentrales Unternehmen sind, reagiert jede Verlagsgruppe, jedes Land auf eigene Art und Weise und mit einem eigenen Zeitrahmen auf diese Herausforderung. So haben wir beispielsweise in den USA unsere Maßnahmen zum größten Teil im Lauf dieses Sommers bereits umgesetzt, so dass wir nun nach vorne schauen und uns auf weiteres Wachstum konzentrieren können.
Wie soll neues Wachstum denn erreicht werden?
Unsere Wachstumsstrategie für die kommenden Jahre geht Hand in Hand mit der „Boost“-Strategie von Bertelsmann, und wir wollen sowohl aus eigener Kraft als auch mit Hilfe strategischer Übernahmen wachsen. Bei den Übernahmen haben wir seit Jahresbeginn bereits eine Reihe kleinerer Verlage übernehmen können, beispielsweise Callisto Media in den USA, Hardie Grant in Großbritannien oder Roca Editorial in Spanien. Dazu haben wir in Verlage wie Sourcebooks in den USA investiert, und DK hat sich an Rebell Girls beteiligt. Wir haben auch Inhalte-Kataloge gekauft, so zum Beispiel die bekannte Kinderbuchserie „The Boxcar Children“ in den USA, die etwa 230 Titel umfasst. Wir werden weiterhin immer da, wo es unser vorhandenes Portfolio ergänzt, Verlage übernehmen, um Wachstum zu erzielen. Beim organischen Wachstum arbeiten wir mit unseren Verlagsgruppen auf der ganzen Welt zusammen und investieren weiterhin in Inhalte und Talente, um sicherzustellen, dass ein diversifiziertes Verlagsportfolio haben und in allen Genres publizieren können. Wachstum ist für uns zum einen aus wirtschaftlicher Hinsicht wichtig; es erlaubt es uns, unsere Mitarbeitenden besser zu fördern und gleichzeitig die Erwartungen unserer Gesellschafter zu erfüllen. Es hilft uns zum anderen aber auch dabei, unser selbstgestecktes Ziel, unsere Mission, zu erfüllen: eine universelle Begeisterung für das Lesen zu wecken, indem wir Bücher für wirklich alle Menschen verlegen. Jedes Buch, das wir verkaufen, erreicht mindestens einen Leser und bringt ihm wie auch immer geartete Unterhaltung, Information oder Inspiration. Wachstum bedeutet, mehr Bücher zu verlegen und zu verkaufen und so mehr Leserinnen und Leser zu erreichen. Und das ist für uns ein ganz wichtiges Motiv für Wachstum.
Wie steht es um die kulturelle Bedeutung eines großen Verlagshauses wie Penguin Random House?
Unsere wirtschaftlichen und unsere kulturellen Ziele stimmen völlig überein. In den Ländern, in denen wir Bücher verlegen, wird die Bevölkerung nicht zuletzt aufgrund von Einwanderung immer vielfältiger. Deshalb ist es wichtig, dass unsere Mitarbeitenden genau diese Vielfalt widerspiegeln. So ein systemischer Wandel braucht Zeit, aber wir machen dank der Kolleginnen und Kollegen, die neu zu uns kommen, und dank unserer ‚Diversity, Equity & Inclusion‘-Initiativen auf allen Ebenen große Fortschritte. Haben wir unser Ziel hier schon erreicht? Sicherlich nicht, aber wir machen große Fortschritte und arbeiten jeden Tag daran. Neben unseren Mitarbeitenden müssen auch die Bücher, die wir verlegen, die Vielfalt heutiger Gesellschaften widerspiegeln. Das hat zum einen kulturelle Gründe, schließlich sind wir eine Kulturinstitution, zum anderen ist es aber auch wirtschaftlich motiviert. Um neue Lesergruppen mit anderen Backgrounds zu erschließen, müssen wir Bücher publizieren, die diese Gruppen ansprechen und in denen sie sich wiederfinden können. Damit einher geht unser Eintreten für die Meinungsfreiheit, was gerade in den USA momentan ein großes Thema ist. Denn viele der „Banned Books“, also der Bücher, die als unerwünscht aus Schulbibliotheken vor allem im Süden der USA verbannt werden, stammen von Autorinnen und Autoren aus unterrepräsentierten und marginalisierten Gruppen oder beschäftigen sich mit den Themen dieser Gemeinschaften. Viele der Bücherverbote betreffen unverhältnismäßig stark junge Menschen in Gemeinden, in denen Familien auf ihre örtliche Bibliothek oder öffentliche Schule angewiesen sind, um Zugang zu Büchern zu erhalten. Bücher aus Schulbibliotheken zu entfernen, bedeutet, dass man Kindern, die selbst aus unterrepräsentierten Gruppen stammen, den einfachen Zugang zu Büchern verwehrt, in denen sie sich selbst wiederfinden können. Deshalb haben wir in der Branche eine Vorreiterrolle eingenommen und führen eine Koalition von Akteuren wie dem Schriftstellerverband PEN America, Non-Profit-Organisationen wie Little Free Library und anderen Buchverlagen an, um uns mit rechtlichen Mitteln, Öffentlichkeitsarbeit und der Unterstützung betroffener Schüler, Lehrer und Bibliothekare gegen diese Art von Zensur zu wehren.
Sie sind selbst Experte für Themen wie Data Science und Technologie. Wie beurteilen Sie die Chancen und Herausforderungen von AI und Generative AI für die Buchbranche?
Der wichtigste Aspekt bei diesem Thema ist für uns zunächst der Schutz des geistigen Eigentums und der Integrität der Arbeit unserer Autoren und Künstler. Hier laufen zurzeit Gerichtsprozesse, an denen auch Autorinnen und Autoren von uns beteiligt sind, um den Schutz des Urheberrechts bei der Verwendung von Inhalten durch generative AI sicherzustellen. Der andere wichtige juristische Aspekt ist die Frage, ob es für mit Hilfe von generativer AI erstellte Inhalte auch ein Urheberrecht geben kann. In den USA hat das Copyright Office dies zunächst einmal verneint. Ungeklärt ist, wie es mit Inhalten aussieht, die in einer Zusammenarbeit von Mensch und AI entstanden sind. Aber diese Fragen werden in fünf Jahren sicherlich gelöst sein. Wir glauben, dass es am Ende nicht um ein entweder Mensch oder künstliche Intelligenz geht, sondern darum, dass Menschen AI nutzen werden, um ihre Arbeit besser zu erledigen, sei es Kreativarbeit oder eine operative Tätigkeit. Bei Penguin Random House arbeiten wir bereits seit mehr als zehn Jahren in verschiedenen Ländern und Bereichen mit künstlicher Intelligenz, vor allem mit Machine Learning, beispielsweise um den Verkaufspreis eines E-Books festzulegen oder die Startauflage gedruckter Bücher zu bestimmen. Und überall da, wo wir menschliche Tätigkeit und AI kombiniert haben, hat dies zu besseren Ergebnissen geführt. Künstliche Intelligenz wird bleiben, sicherlich mit länderspezifischen rechtlichen Besonderheiten. Für uns geht es jetzt darum, sicher zu experimentieren und herauszufinden, wie wir generative AI am besten einsetzen können, um unsere Arbeit verbessern können.
Welche Rolle spielen Bestseller im heutigen Verlagsgeschäft?
Jeder Verlag veröffentlicht jedes Jahr viele neue Bücher, allein bei uns sind es weltweit etwa 15.000 Neuerscheinungen jährlich. Bei manchen dieser Bücher hegen wir vorher große Erwartungen, das galt beispielsweise für „Spare“, die Memoiren von Prinz Harry. Aber viele Bücher überraschen uns auch. Das ist eine der großen Freuden der Verlagsarbeit. Das gilt auch für manche Bestseller, die sich noch besser verkaufen als von uns ursprünglich angenommen. Neue Social-Media-Kanäle wie beispielsweise Tiktok, über die Leser Bücher entdecken, und der Online-Handel haben dazu geführt, dass Bücher heute eine deutlich längere Lebensdauer haben. Früher haben sich Bücher direkt nach Erscheinen am besten verkauft, die meisten Exemplare wurden in den ersten drei bis vier Monaten verkauft. Nun erleben wir besonders bei erfolgreichen Titeln einen wesentlich längeren Verkaufszeitraum. Für uns bedeutet das, dass unsere Backlist immer wichtiger wird. Deren Verkaufszahlen sind deutlich höher als vor zehn oder 15 Jahren. Aber die Frontlist, also die Neuerscheinungen, ist natürlich nach wie vor entscheidend für die Entwicklung der künftigen Backlist.
Wie wichtig sind Trends für das Geschäft von Penguin Random House?
Die Buchbranche ist geprägt durch zyklische Trends. So waren beispielweise Jugendbücher in der Harry-Potter-Ära und noch bis etwa 2015 sehr populär, man denke nur an „Twilight“ oder „Die Tribute von Panem“. Von 2013 bis 2019 gab es einen signifikanten Anstieg bei den Sachbüchern. Und seit der Zeit der Pandemie und auch heute noch sind Fiction-Titel stark gefragt. Und natürlich wollen wir in diesen starken Kategorien wachsen. Aber grundsätzlich streben wir nach Wachstum in jedem Genre, denn als diversifizierte Verlagsgruppe, die in wirklich allen Kategorien Bücher verlegt, glauben wir daran, dass jedes Genre das Zeug zum Bestseller hat. Unser Ziel ist es, in allen Genres gute und erfolgreiche Bücher zu publizieren und sicherzustellen, dass wir in allen Kategorien vertreten sind.
Vor welchen Herausforderungen steht die Buchbranche heute, und wie kann PRH diesen Herausforderungen begegnen?
Kurzfristig geht es darum, mit den bereits beschriebenen signifikanten Kostensteigerungen umzugehen, also die richtige Balance zwischen Kosten und Wachstum zu finden. Das ist eine Herausforderung, die viel harte Arbeit erfordert, von der wir viel aber auch schon erledigt haben. Langfristig bin ich, was die Zukunft unserer Branche angeht, sehr optimistisch. Das Tolle an der Buchbranche ist, dass es uns bereits seit 500 Jahren gibt. Wir haben mit dem gedruckten Buch ein Produkt, das immer wieder die Herausforderungen neuer Zeiten überstanden hat. Obwohl es Bücher heute in gedruckter und digitaler Form sowie als Hörbuch gibt, entscheidet sich die überwältigende Mehrheit der Leserinnen und Leser nach wie vor für das gedruckte Buch. Und trotz aller konkurrierenden Angebote um die Zeit der Menschen nimmt das Lesen für so viele Menschen eine zentrale Rolle ein. Wir bei Penguin Random House und die gesamte Branche verkaufen heute mehr Bücher als vor zehn Jahren.
Und zum Schluss: Auf welche Bestseller von Penguin Random House können sich die Leserinnen und Leser in den kommenden Monaten freuen?
Es gibt so viele tolle Bücher, die wir in unseren verschiedenen Märkten publizieren. Beispielsweise bringen wir jetzt in Deutschland die Kinderbuchreihe „Bluey“ auf den Markt, eine Lizenz der BBC, die wir bereits mit viel Erfolg in den englisch- und spanischsprachigen Ländern veröffentlicht haben. Ein weiteres kommendes Highlight, das wir im November in vielen Sprachen und Ländern herausbringen werden, ist „Murtagh“ von Christopher Paolini. Damit kehrt der Autor erstmals seit mehr als zehn Jahren in die Welt seiner erfolgreichen „Eragon“-Romane zurück. Dann muss man sicherlich „Knife“ von Salman Rushdie erwähnen, das wir im April kommenden Jahres in all unseren Ländern auf den Markt bringen werden. Darin erzählt der bekannte Schriftsteller von dem Attentat im Jahr 2022 auf ihn und wie er damit umgegangen ist. Und in den englischsprachigen Ländern haben wir gerade ein spannendes Buch mit dem Titel „Be Useful: Seven Tools for Life“ von Arnold Schwarzenegger in den Handel gebracht. Darin geht es um die wertvollen Lektionen, die er im Laufe seines Lebens gelernt hat: als Bodybuilder, als Hollywood-Star und als Politiker. Das ist eine faszinierende Lektüre darüber, wie man in drei völlig unterschiedlichen Bereichen erfolgreich sein kann.